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20.05.2021 in Pressemitteilungen

Sozialpolitik braucht Kurswechsel: Wege aus der Armut ermöglichen

Das Bundeskabinett hat den 6. Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedet. Dessen Ergebnisse zeigen, dass sich die Armut in Deutschland verfestigt hat. „Einmal arm heißt für die meisten Menschen für sehr lange oder sogar für immer arm“, erklärt Wolfgang Sartorius, Vorstand des diakonischen Sozialunternehmens Erlacher Höhe.

Großerlach. Das Bundeskabinett hat den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedet. Der Bericht, der alle vier Jahre erscheint und die soziale Lage in Deutschland ausführlich beschreibt, zeigt: Die Armut in Deutschland hat sich verfestigt. Während es Personen aus den mittleren sozialen Lagen weiterhin gelingen kann, aufzusteigen, sind die Aufstiegschancen für Personen aus den unteren sozialen Lagen seit den 1980er Jahren kontinuierlich gesunken. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein in Armut lebender Mensch fünf Jahre später noch immer arm ist, stieg laut Bericht seit Ende der 1980er Jahre von 40 Prozent auf 70 Prozent an.

„Einmal arm heißt für die meisten Menschen für sehr lange oder sogar für immer arm“, erklärt Wolfgang Sartorius, Vorstand des diakonischen Sozialunternehmens Erlacher Höhe. „Vertikale Mobilität ist keine Selbstverständlichkeit und funktioniert zumeist nicht mehr bei Menschen, die einmal in Armutslagen geraten sind.“ Der Bericht zeige auf, dass Armut in Deutschland mittlerweile vielfach ein Schicksal sei, aus dem es kein Entkommen gebe. Selbst der nachkommenden Generation gelinge es nur selten, Armut zu überwinden. Dies decke sich mit den Erfahrungen aus der Beratungspraxis, die man vor Ort in den sozialen Einrichtungen und Diensten der Erlacher Höhe mache.

Forderung nach einer sozialpolitischen Wende

Die Erlacher Höhe unterstützt deshalb die Forderung der Diakonie Deutschland nach einer sozialpolitischen Wende. So erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, es brauche „eine Infrastruktur, die allen Menschen offensteht, damit sie nicht nur räumlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B, sondern auch sozial von Unten nach Oben kommen können.“

„Die Corona-Pandemie hat Armut und Ungleichheit weiter verstärkt“, so Sartorius. „Um die pandemiebedingten Mehrbelastungen auszugleichen, muss deshalb das aktuelle Grundsicherungssystem grundlegend reformiert werden, die Zeit für ein Ende von Hartz IV ist überreif. Diakonie Deutschland hat dazu eine Alternative entwickelt, die Menschenwürde, Vertrauen und Fachlichkeit in den Mittelpunkt rückt. Ziel einer neuen Hilfestruktur sollte die Befähigung und Emanzipation der Hilfesuchenden sein, denen mit einer respektvollen und wertschätzenden Haltung begegnet wird. Da dies aber in der jetzigen Legislaturperiode nicht mehr zu realisieren ist, ist es dringend erforderlich, den Menschen schlicht mehr Geld an die Hand zu geben, also die Regelsätze so zu erhöhen, dass davon ein Leben ohne Armut möglich ist.“

Aus diesem Grund habe die Erlacher Höhe bereits Mitte März 2020 zusammen mit der Diakonie Württemberg und weiteren Wohlfahrtsverbänden eine zumindest vorübergehende Anhebung des Regelsatzes um 100 Euro für Erwachsene und 80 Euro für Minderjährige angemahnt. Die von der Koalition beschlossene Einmalzahlung von 150 Euro für erwachsene Grundsicherungsbeziehende sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, letztlich aber unzureichend: „Die außergewöhnlichen Belastungen durch eine weltweite Pandemie sind in den Berechnungen der Regelsätze nicht vorgesehen, darauf weisen wir bereits seit Beginn der Pandemie hin. Völlig zurecht nimmt die Koalition viele Milliarden in die Hand, um die Folgen der Pandemie für Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzumildern. Aber weshalb nicht auch für diejenigen, die vom Existenzminimum leben und am meisten der Unterstützung und Solidarität bedürfen?“

Auch im Hinblick auf Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit bestehe dringend Handlungsbedarf, so Sartorius. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum sei unzureichend, der Bestand an Sozialwohnungen sei fortlaufend geschrumpft. „Wohnkosten stellen für Haushalte mit geringsten Einkommen sehr häufig eine deutliche Überforderung dar. Wir kennen Haushalte, die über die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben müssen und deshalb kaum Geld für den täglichen Bedarf zur Verfügung haben“, so Sartorius. Zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert die Erlacher Höhe eine umfassende Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit, die alle politischen Ebenen einbezieht. „Jetzt sind Bund, Länder und Kommunen gefordert. Der soziale Mietwohnungsbau ist bundesweit über zwei Jahrzehnte lang sträflich von der Politik vernachlässigt worden. Überall mangelt es an Wohnraum für Menschen mit kleinem Geldbeutel. Hier benötigen wir einen grundlegenden politischen Kurswechsel“, sagt Sartorius.